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Eine Gruppe von Frauen mit Kopftüchern vertreibt sich die Zeit zwischen Erdbeerfeldern und den Stallungen, wo sie wohnen. Sie erzählen, dass sie aus Marokko kommen und auf den Erdbeerfeldern in Huelva, einem der Hauptanbaugebiete für Erdbeeren im südspanischen Andalu- sien, arbeiten. Die Frauen haben immerhin einen Arbeitsvertrag für sechs Monate. „Uns geht es gut“, sagen sie.

Seit vielen Jahren werden sie für die Erntesaison nach Andalusien geholt, um die ersten Erdbeeren Europas zu pflücken. Sie bekommen derzeit einen Mindestlohn von 36 Euro brutto am Tag, in Deutschland gilt dagegen der Mindeststundenlohn von 12 Euro, auch für die Landwirtschaft. Einpflanzen und Pflücken ist körperlich harte Arbeit und viele der Afrikaner – meistens sind es Frauen – schuften mehr als acht Stunden auf dem Feld. Von vorn will von den Erntehelfern hier in Huelva kaum jemand fotografiert und schon gar nicht namentlich genannt werden. „Sie fürchten weniger ihre spanischen Chefs, sondern dass ihre Familien zu Hause sehen könnten, wie armselig sie tatsächlich in Spanien leben“, erzählt José Maria Castellano von der andalusischen Menschenrechtsorganisation in Huelva. Seit Jahrzehnten arbeitet er ehrenamtlich für die Migrantenrechte bei den Beeren-Produzenten.

 

Unterbringung und Integration fragwürdig 

Auch weiter im Osten von Andalusien, in der Küstenregion Almería, gibt es Baracken und Ausbeutung auf dem Feld oder im Gewächshaus. Die Redaktion des rbb24 wirft zum Beispiel dem dort ansässigen und nach Deutschland exportierenden Unternehmen Bio Cemosa vor, seine Mitarbeiter nicht fair zu behandeln. Auf Anfrage der LP hat sich Bio Cemosa dazu nicht geäußert.

Auch deutsche Obstbauern klagen seit Jahren über einen unfairen Wettbewerb mit Spanien, wo nicht die gleichen Sozial- und Umweltstandards gelten würden wie in Deutschland. Dennoch: Die Obst- und Gemüseabteilungen in den Supermärkten sind nach wie vor schon voll von roten Beeren und auch Tomaten aus Andalusien.

Ein Sprecher der Rewe Group sagt: „Aus der Region Huelva / Doñana bezieht die Rewe Group Erdbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren nur zur Deckung saisonaler Nachfragespitzen. Eine regionale Beschaffung aus heimischer Landwirtschaft hat immer Priorität.“ In den ersten elf Monaten 2022 setzten die Agrarexportunter- nehmen in Andalusien mit Gemüse und Obst im In- und Ausland rund 6,2 Milliarden Euro um – deutlich mehr als im Jahr davor. Sie profitieren von der Inflation. Die Provinz Almería macht mit den größten Umsatzanteil aus, gefolgt von der Region Huelva. Nach Ansicht von Frutania, Handelsunternehmen für Obst und Gemüse in Deutschland mit Präsenz in Huelva, habe auch der deutsche Verbraucher Schuld am Erfolg der spanischen Billigware. In Umfragen gebe er zwar an, dass er Lokalware kauft, im Geschäft ändert er jedoch seine Meinung und greift doch zur preiswerteren Ware aus Spanien. „Wer Billigprodukte kauft, der muss verstehen, dass diese nicht unter für uns sozialgerechten Umständen hergestellt werden“, appelliert der Menschenrechtler José Maria Castellano an die deutschen Konsumenten

 

Lieferkettengesetz soll Mängel verhindern

Das seit dem 1. Januar geltende nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll Missständen wie in Andalusien einen Riegel vorschieben. Ziel ist es, den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten zu verbessern und grundlegende Menschenrechtsstandards wie das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit einzuhalten. Das neue Gesetz richtet sich an deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern entlang ihrer Lieferkette. Auf EU-Ebene soll das Lieferkettengesetz noch 2023 verabschiedet werden. Wie reagieren Hersteller und Händler darauf? „Wir arbeiten eigentlich nur mit unabhängigen Produzenten zusammen, bei denen die Nachverfolgung und Transparenz gegeben ist und die Global-GAP-Zertifikate oder ähnliche Zertifikate nachweisen können“, sagt der Regionalverantwortliche Sebastian Linnemannstöns von Frutania. Global GAP ist ein privates, weltweites Qualitätssicherungs- und Zertifizierungssystem für die Landwirtschaft.

 

Lieferkettengesetz soll Mängel verhindern

Auch bei San Lucar werden die Erdbeeren in Huelva angebaut. Zu den dortigen Wohnverhältnissen äußert sich das Unternehmen so: „Wer als Saisonarbeiter nach Spanien kommt, bekommt von den Anbauern eine Unterkunft gestellt. Alle Arbeiter haben Strom, Gas, Wasser und Internetanschluss, um mit ihren Familien in Kontakt bleiben zu können.“ San Lucar hat nach eigenen Angaben bereits vor zehn Jahren begonnen, bei Produzenten soziale Zertifizierungen wie das Zusatzmodul GRASP von Global GAP abzufragen. Hier geht es um die Risikoeinschätzung für soziale Belange von Arbeitern. Mit dem Lieferkettengesetz erweitert San Lucar sein Monitoring-System. Es wird unter anderem überprüft, dass Mitarbeiter nach gültigen Vereinbarungen bezahlt werden, bei der Sozialversicherung angemeldet sind und alle gesetzlichen Leistungen erhalten. Befragte Handelszentralen wie Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Kaufland versichern, dass ihre Erdbeeren aus Andalusien ebenfalls mindestens Global-GAP- und Global-GAP-GRASP-zertifiziert sind oder vergleichbare Zertifizierungen nachweisen können. Auch wenn Produzenten, Zwischenhändler und Händler mit Sitz in Deutschland beteuern, dass sie die Mindeststandards einhalten, scheint es in Andalusien noch schwarze Schafe zu geben.

 

Wassermanagement katastrophal

Des Weiteren gibt es ein großes Umweltproblem in Andalusien. Außer dem Plastikmeer aus Folien herrscht extremer Wassermangel. Und Erdbeeren brauchen zum Wachstum sehr viel Wasser. Wie José Maria Castellano haben sich Hunderttausende in einem Aufruf einer internationalen sozialen Bewegung (Avaaz) für die Rettung des durch den Agrar- und Chemiesektor verseuchten Flusses Guadalquivir und den fast ausgetrockneten Naturschutzpark Doñana in Huelva eingesetzt. Auch der WWF Spanien macht sich hier stark. In einer Erklärung des WWF an die konservative Regionalregierung Andalusiens, die auch Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Kaufland unterschrieben haben, wurde vor einem Jahr dazu aufgefordert, die illegale landwirtschaftliche Nutzung von 1.900 Hektar rund um den Naturschutzpark Doñana zu verbieten. Die Regionalregierung zog ihre Pläne zurück – zunächst.

„Anfang März stellte die andalusische Regionalregierung jedoch erneut Pläne zur Legalisierung der illegalen Anbauflächen vor – mit kleinen Änderungen, aber gemäß dem Prinzip ‚Alter Wein in neuen Schläuchen‘. Die Pläne zielen weiter darauf ab, illegale Anbauflächen zu legalisieren, die dem Park das Wasser abgraben“, berichtet Johannes Schmiester, Senior Project Manager Water Stewardship, WWF.

 

Illegale Maßnahmen gehen weiter

Der angehende Forstwirt Alvaro Bernat, der den Sektor aus nächster Nähe kennt, ist entsetzt: „Viele Betriebe wurden legalisiert und mit illegalen Brunnen bewässert. In Spanien, wo es wenig Trinkwasser gibt, das Grundwasser schon in großem Maß verseucht ist und sich in unmittelbarer Nähe von Schwer- und Agrarindustrie Naturschutzgebiete befinden, muss nicht nur der gesamte Agrarsektor in Huelva, sondern das gesamte Wirtschaftssystem überdacht werden.“

Weiterführende Informationen:
Erdbeeren um jeden Preis

Foto: Tim Mossholder, unsplash.com