Der unterschätzte Schlüssel zur Gesundheit
Gesunder Boden ist die Grundlage für sauberes Wasser, hochwertige Lebensmittel und ein funktionierendes Ökosystem. Doch dieser lebenswichtige Bestandteil unserer Umwelt ist zunehmend bedroht. Erosion, Versiegelung und intensive Bewirtschaftung haben viele Böden in einen alarmierend schlechten Zustand versetzt – so steht es im Bodenatlas 2024, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie dem TMG Think Tank for Sustainability.
Dabei ist längst allgemein bekannt: Gesunder Boden ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen, erfüllt zentrale Funktionen im Wasser- und Nährstoffhaushalt und ermöglicht überhaupt erst die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln. Dass er darüber hinaus auch Träger von Infrastruktur sowie Grundlage menschlicher Kultur ist, sei nur am Rande erwähnt.
„Es mangelt nicht am Vorhandensein von Fachwissen - aber dieses an alle Bürger und Bodenbewirtschafter weiterzugeben, sowie die Umsetzung in praktisches Handeln gelinge noch viel zu wenig“, sagt Franz Rösl, Vorstand der Interessengemeinschaft gesunder Boden e.V.. Der Verein setzt sich für den Aufbau gesunder Böden als Basis für gesunde Pflanzen, Tiere und Menschen ein.
Zahlreiche Studien belegen den Verlust landwirtschaftlicher Nutzflächen, die Auslaugung der Böden durch Monokulturen und intensive Nutzung sowie deren sinkende Regenerationsfähigkeit. Organisationen wie die IG Gesunder Boden, die Interessengemeinschaft für gesunde Lebensmittel IGFür oder Umweltwissenschaftler schlagen daher Alarm.
Was geschieht konkret?
Böden verlieren zunehmend Nährstoffe und organische Substanz (Humus), versalzen oder versauern, werden mit Schadstoffen belastet und durch schwere Maschinen verdichtet. Hinzu kommen die Versiegelung großer Flächen. Der Verlust der biologischen Vielfalt im Boden folgt. Dann geht die Bodenfruchtbarkeit zurück, sie wird aber erst sichtbar, wenn Vegetation ausbleibt, Böden erodieren und Wüsten entstehen. Weltweit sei etwa ein Viertel der eisfreien Landfläche von menschengemachter Degradation betroffen, so der Bodenatlas. Auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ist die Lage noch dramatischer: Über ein Drittel sei geschädigt - durch Düngung, Pflanzenschutz, intensive Nutzung.
Ein so „degradierter“ (= Fachbegriff für die Verschlechterung der Bodenqualität und -funktion) Boden schwächt dann auch noch die natürlichen Abwehrkräfte der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge – sie können nicht mehr gesund wachsen. Die Folge: weniger nährstoffreiche Produkte, dafür belastet mit Rückständen wie z.B. Pestiziden. Die gesunde Ernährung gerät so in Gefahr.
Allein in Deutschland soll die Landwirtschaft im Durchschnitt pro Jahr und Hektar etwa zehn Tonnen fruchtbaren Boden durch Erosion und Humusabbau verlieren, so die Naturschutzorganisation WWF.
Obwohl diese Entwicklungen längst bekannt sind, hat der Bodenschutz – und auch trotz der EU- Bodenstrategie im Rahmen des Green Deals – bislang keine herausragende Rolle in der politischen und gesellschaftlichen Debatte eingenommen. Im Gegenteil: Politische Entscheidungen fördern häufig industrielle Anbaumethoden und setzen auf ein „Weiter so“, frei von Regeln und Vorgaben, die dem Boden helfen könnten.
Der neue Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer plädiert jedenfalls für „Freiräume statt Formulare“. Und auch der Deutsche Bauernverband sieht kaum Handlungsbedarf: „Gute landwirtschaftliche Praxis sichert die Bodenfruchtbarkeit“ heißt es dort. Für Franz Rösl ist das zu kurz gedacht: „Dass der Boden ein lebendiger Organismus ist, ist nicht im allgemeinen Bewusstsein. Ob die Ernährungsindustrie und der Lebensmittelhandel wissen, was Humus ist? Agrarlobby und Politik sind zu selten wirklich im Thema Bodengesundheit.“
Dabei weist er explizit niemandem die Schuld zu: „Jeder hat Einfluss auf die Bodenqualität – durch seine Lebensweise, sein Verhalten, seinen Konsum. Boden ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb dürfen Landwirte nicht auf die Anklagebank gesetzt werden.“ Der Bürger wisse leider zu wenig vom Landwirt und seinen Bedürfnissen.
Ein grundlegende Ursache sieht Rösl in unserer aktuellen Ernährungswirtschaft. „Das System aus industrieller Produktion und wettbewerbsintensivem Handel setzt die Landwirte unter Druck.“ Zwei Beispiele:
– Ein konventioneller Apfel wird in seiner Wachstumsperiode durchschnittlich 31-mal mit chemisch hergestellten Pestiziden gespritzt, auch um den Handelsanforderungen zu genügen.
– Wer Kartoffeln für Kartoffelchips anbaut, spritzt zum Beispiel 18-mal Pestizide, um den Anforderungen zu genügen.
Wer nicht mitspielt, ist raus. Rösl fordert deshalb vor allem ein neues Bewusstsein: Wer erst einmal erkenne, welche Bedeutung der Boden für das eigene Leben habe, der beginne auch, seinen Wert zu schätzen. „Das grundlegende Problem in unserem Kulturraums ist die falsche Sichtweise, wonach der Mensch von der Natur getrennt ist“. Dazu gehöre auch „der Verlust des physischen Kontakts zwischen Mensch und Boden“.
Um das zu erreichen, müsse die Entfremdung des Menschen von der Natur überwunden werden. „Die Menschen berühren den Boden nicht mehr“. Boden dürfe nicht als „Dreck“ gelten, sondern müsse als lebendiger Organismus begriffen werden.
Wenn dieses Bewusstsein vorhanden sei, könnten auch konkrete Maßnahmen Wirkung zeigen – Vorschläge gibt es genug, zum Beispiel:
• Regenerative Landwirtschaft mit Humusaufbau, vielfältigen Fruchtfolgen und reduzierter Bodenbearbeitung
• Gezielte Subventionen für ökologische Leistungen, statt pauschaler Flächenzahlungen
• Konsequente Reduktion des Flächenverbrauchs, etwa durch eine Versiegelungssteuer
• Verbraucheraufklärung über die Herkunft und bodenschonende Produktion von Lebensmitteln
Franz Rösl hat noch eine Botschaft: „Wir Menschen stammen aus dem Boden - letztlich nehmen wir ihn über die in und auf ihm wachsenden Lebensmittel täglich auch auf. Die Pflanze verwandelt Mineralien auch dem Boden in Stoffe, die Menschen verwerten können. Im Tod ist das wieder umgekehrt. Deswegen bleibt das übrig, von dem wir elementar leben - Boden.“
Franz Rösl referiert am 12. September 2025 auf dem Symposium der Interessengemeinschaft für gesunde Lebensmittel in Fulda. Mehr Informationen: link zur Anmeldung


